David Svoboda, Susanne Tunn

Silberwald

„Wir suchen in der Natur immer auch eine Wirklichkeit außerhalb der Geschichte, wir suchen in der Kunst immer auch eine Geschichte außerhalb der Wirklichkeit.“ Martin Seel

Am frühen Abend ist es am schönsten hier, tief im Wald, wenn die Sonnenstrahlen Inseln auf dem bemoosten Boden bilden und der Lichtschein Muster in das Dickicht der Fichten schreibt. Auf den Moosteppichen krabbeln Käfer, und in den Lichtkegeln tanzend, muten die kleinen Fliegen wie Fabelwesen an. Um diese Zeit fangen auch die silbernen Stümpfe an aufzuleuchten, „die letzten Überreste des Silberwaldes.“

Die Magie dieses Ortes hängt von vielen Faktoren ab. Der Auslöser dafür sind die Skulpturen von David Svoboda und Susanne Tunn. Entrückt in Raum und Zeit vergisst man für einen Moment, woher man gerade gekommen ist, und tiefer noch als in den Wald, geht man in seine Kindheit zurück. Die ganzen Märchen die man gelesen oder gehört hat, die Stunden die man im Wald verbracht hat, als alles noch neu entdeckt werden musste, sind Teil einer Welt, die im Alltag des Erwachsenseins versunken ist.

Sicherlich wachsen nicht alle Kinder in einem beschützten Umfeld auf, das Raum schafft für eine freie, phantasievolle Entwicklung. Dennoch ist, oder sollte man schon sagen: war dieses Bild von Kindheit seit der Romantik in Mitteleuropa vorherrschend und hat die meisten Menschen hier geprägt. Es war die Romantik, die in der Naturbetrachtung den Weg zur Seele sah und in vergangenen Zeiten das Ideal einer nicht vernunftgetriebenen Gesellschaft fernab der Modernisierung und Industrialisierung suchte. Dies deutet schon an, dass die romantische Form von Naturbetrachtung nicht rein ästhetisch ist. Sie ist nicht ausschließlich auf die Sinneswahrnehmung gerichtet, sondern wird durch ein gewisses Interesse geleitet. Die Erscheinung der Natur wird auf die eigenen Lebensumstände bezogen. Je kindlicher, je unverstellter diese sind, desto reicher wirkt diese Erfahrung in der Gefühlswelt.

Der, der Kunst entsprungene Silberwald hat seinen Ursprung ebenso in unserer Geschichte. Diese ist unentbehrlich für ihn, um seine Geschichte erzählen zu können, in der sich alles um ihn herum verzaubert. Die silbernen Bäume erwecken den Anschein, als seien sie das Produkt einer vergangenen Alchemie, Relikt einer wundersamen Welt, für die es nach heutigen Maßstäben keine Erklärung mehr gibt. Spürt man dieser wundersamen Welt nach, erhalten alle Dinge eine neue Beziehung, die außerhalb unserer Wirklichkeit liegt.

Damit ein Natur- und Kunstverständnis sich entwickeln kann, müssen Natur und Kunst erfahren werden, und zwar schon als Kind. Die Erfahrung des Schönen in der Natur macht sie auch zu einer schützenswerten Natur. Die Kunst kann hierbei ein hinreichender Anhaltspunkt für eine andere Naturbetrachtung sein.

Text: Oliver Konen