Felix Höfner

Zeit

Am Finkenhügel entsteht eine neu angelegte Fläche im Naturraum, sie verweist in Form und Material auf eine Landschaft als Skulptur. Das 576 qm große Areal vermittelt ein anderes Aussehen als in der Region gewohnt. Die Fläche ist begehbar, Rindenmulch bildet den Bodenbelag, der Besucher geht hinein. Er erfasst Gestaltung und Charakter in zwei Elementen: zum einen gebildet aus Stoffen der Natur, zum anderen geformt in Elementen aus Beton, die in einer weiteren Funktion als Sitzbänke zum Verweilen einladen. Dieser Landschaftsraum wächst und verändert sich. Anfangs fallen die dreidimensionalen Betonsegmente auf. In der Fläche formt eine pflanzliche Struktur aus einzelnen Gebilden große Zeichen aus. Bodendeckender grüner Klee und Schilf, das täglich höher wächst, sind die Komponenten.

Chinesisches Schilfgras, Miscanthus, umgibt uns am Rand der Stadt Osnabrück. Sinnlich erfahrbar entsteht ein Raum, der den Besucher einbezieht. Das Gras ist auch bekannt als nachwachsender Rohstoff, vielfältig nutzbar, etwa als nachhaltiger Energielieferant. Mit der Zeit wird das Schilf so hoch empor wachsen, dass der Eindruck eines Labyrinthes vor Ort entsteht. Die Bedeutung des Landschaftsparks erschließt sich nicht sogleich. Zeit, so der Titel, unspektakulär und abstrakt, wirkt hier am Gestaltungsprozeß mit. Persönlich wird ‚Zeit‘ von jedem Menschen, sowie in allen Kulturen, anders wahrgenommen und verstanden. Metaphernähnlich formuliert Felix Höfner bildhaft in der Natur. Gras und Klee formen das chinesische Zeichen für Zeit (in seiner traditionellen Form als Langzeichen mit dem sinngebenden Bestandteil „Sonne“, symbolisch für den Lauf der Zeit) aus. Umgeben von einer zahnförmig verlaufenden Rasenkante verkörpert die Anlage eine Briefmarke in größeren Dimensionen. Ein blutroter Stempel kommt hinzu, die Postkarte ist angekommen.

Der Kontrast der Materialien ist zu spüren. Dauerhaftes verbindet man gewöhnlich mit Beton, Vergängliches mit Gras. Die exakt betonierten Kuben stehen in Wechselbeziehung zum lebenden Naturprodukt. Die Anlage wirft Fragen auf und gewährt neue Möglichkeiten der Rezeption. Sie enthält zudem eine chiffrierte Botschaft. Ein alphabetisches Raster liegt den geometrischen Formen zugrunde. Jedem Buchstaben des Alphabets, A bis Z, wird eine Anzahl Punkte zugeordnet, die seiner numerischen Position entspricht: 1 bis 26. Verbindet man die Punkte eines Buchstabens auf der Fläche miteinander ergeben sich Formen (zwei Punkte, B, ergeben eine Linie; drei Punkte, C, ein Dreieck, vier Punkte, D, ein Quadrat, usw.). Ein Beispiel führt Kombinationen exemplarisch vor Augen: In diesem geometrischen Code bildet „win“ eine Negativ–und „loose“ eine Positiv-Form aus. Der Besucher nimmt in der Lösung dieses versteckten Rätsels, das in der gewohnten Ansicht nicht einsehbar ist, Architektur und Natur wahr, er läuft die Zeichen ab und skizziert Formen. Die parkähnliche Anlage versetzt uns in andere Räume der Welt. Die Perspektiven wechseln, Informationen tauschen sich aus – die Erde im Blick.

Text: Nicola Assmann